New York City – Reisevorbereitungen eines Essverrückten

Der Vorgang, Reservierungen in den Spitzenrestaurants New Yorks zu tätigen, gehört mit zu den nervenaufreibendsten Tätigkeiten überhaupt. Aber auch diese (für einen Essverrückten entscheidende) Phase der Reiseplanung möchte ich niemals vermissen. Das Glücksgefühl, wenn wieder eine Reservierung gelingt – und dann noch eine und noch eine und noch eine – kann süchtig machen. Doch der Weg zu einem Terminplan mit lauter bestätigten Reservierungen verlangt viele Opfer. Wer zu faul ist, sich im Voraus über die möglichen Ziele schlau zu machen, zu gelassen, um sich einen akkuraten Plan zu erstellen, zu ungenau, um exakte Uhrzeiten einzuhalten – oder zu stolz, um den „ganzen Zirkus“ mitzumachen (man ist ja immer noch Gast, pöh!), der geht eben woanders essen. Auch gut. Wieder einer weniger in der Telefonleitung.

Da ich genau jetzt wieder auf dem Weg in die Metropole bin, die für mich – gleichauf mit Paris – zur spannendsten kulinarischen Stadt der westlichen Welt zählt, wollte ich etwas aus dem Nähkästchen plaudern, wie eine typische New-York-Reiseplanung bei mir abläuft.

Restaurantauswahl

Die alles entscheidende Frage lautet natürlich: Wo möchte ich essen gehen? In New York habe ich einige klare Favoriten, die mir jedes Mal so viel Freude und Genuss bereiten, dass sie immer in meine Agenda gehören, komme was wolle. Das wären an vorderster Front das Tresenrestaurant Chef’s Table at Brooklyn Fare mit César Ramirez’ kompromissloser, französisch-japanischer Spitzenküche, dann Daniel Humms bistro-schicker Gastrotempel Eleven Madison Park sowie Eric Riperts Seafood-Tempel Le Bernardin in heiterer Business-Atmosphäre (so etwas gibt es tatsächlich) und wohl der allerbeste Ort, um sich vor einem Besuch im MoMA nebenan noch einmal kurz kulinarisch und önologisch aufzufrischen.

Danach sind die Optionen unzählig. Hier braucht man dann am besten einen Fokus sowie eine abwechslungsreiche Planung zwischen Mittag- und Abendessen und hinsichtlich Küchenstilen und Art der Restaurants. Da ich z. B. seit meiner Japan-Reise in 2014 keine Gelegenheit auslasse, um in den Genuss von hochwertigem, authentischem Sushi zu gelangen, habe ich für die kommende Woche gleich zwei Sushi-Restaurants eingeplant: das Masa, welches die einzige Gelegenheit der westlichen Welt bietet, Sushi auf Drei-Sterne-Niveau zu genießen, sowie das hochgelobte und recht neue Sushi Nakazawa von einem Schüler Jiro Onos. Und als ich erfuhr, dass das ziemlich schräge, aber exzellente Momofuku Ko aus dem David-Chang-Imperium kürzlich umgezogen ist und – mit größerem Essbereich, hochwertigerer Ausstattung und einer Lockerung der no photos policy – musste das auch mal wieder auf meine Liste. Ach ja, und ein Besuch im NoMad, sowohl in der Bar als auch im Restaurantbereich, darf auch nicht fehlen.

Jetzt könnte man kommen und sagen: das meiste davon kennt der Walther doch schon. Warum nicht mal was Neues? Gerade in New York, da sprießen die Restaurants doch förmlich aus dem Boden! Das stimmt, aber mir geht es in erster Linie um möglichst garantierten Genuss, und da dürfen einige der üblichen Verdächtigen eben nicht fehlen.

Beim Füllen der weiteren „Lücken“ – dann auch mit viel Neuem – helfen besonders der Guide Michelin, der Zagat und einige Tipps aus der Foodie-Szene. Bei den Restaurantführern (die man natürlich alle bestellen und in den Händen halten muss) gilt stärker denn je: man muss sie auch lesen und „bedienen“ können! New York ist das ideale Pflaster, um alle Essensqualitäten verschiedenster Küchenstile in allen möglichen Atmosphären erleben zu können. Der Guide Michelin fasst das immer noch am besten und verständlichsten zusammen, ob mit oder ohne Stern. Aber wer auf „den ganzen Sternezirkus“ keine Lust hat, der verpasst in New York die schrägsten, urigsten, lustigsten, besten und atemberaubendsten Restaurants, von Pizzerien über Burgerläden bis zum Luxustempel. Den „Sternezirkus“ lässt man nämlich schon am Flughafen hinter sich.

Gerade mittags habe ich mich für einige Restaurants entschieden, die entspannter sind und nicht viel Zeit in Anspruch nehmen, kein langes tasting menu servieren und dennoch spannend klingen: Einen Snack im Little Park Tribeca kann man zum Beispiel gut mit einem Besuch im neuen One World Trade Center verbinden (so zumindest mein Plan), The Spotted Pig ist ein sensationeller Zwischenstopp beim Flanieren durchs East Village, Cosme und ABC Cocina fangen gerade den Südamerikatrend auf und werden auch von mir besucht. Kesté Pizza and Vino klingt nicht nur heiß und herzhaft, sondern ist bei Foodie-Freuden der letzte Schrei für fetttriefende neapolitanische Pizza, und aufs Lupa, ganz in der Nähe meines Hotels in SoHo ist ideal, um vor der Abreise noch mal in den Genuss von Mario Battalis süffiger italienischer Küche zu gelangen.

Das, im Groben, war der Plan.

Was ich tun musste, um den Plan dann zu festen Reservierungen zu machen, erzähle ich im Folgenden.

Informationen sammeln

Zunächst muss man verstehen, dass Restaurantreservierungen in den USA völlig anders ablaufen als hierzulade. In Deutschland würde man vielleicht in einer ruhigen Minute (wenn es einem gerade passt und in den Sinn kommt) zu seinem Festnetztelefon greifen, im Restaurant seiner Wahl anrufen, sofort jemanden an die Strippe bekommen, und die Reservierung für seine Wunschuhrzeit und sein Wunschdatum tätigen. In den meisten Restaurants der USA (und auch in vielen anderen Ländern, die gastronomisch auf der Höhe der Zeit sind) würde man mit diesem Verhalten am anderen Ende der Leitung – sofern man überhaupt jemanden dranbekommt – vermutlich ausgelacht werden. Denn zunächst gilt es, für jedes Restaurant dessen Reservierungsgepflogenheiten herauszufinden. Dies geschieht natürlich über die Website. Dort erfährt man dann, ob ein Restaurant bspw. nur über OpenTable reservierbar ist, oder nur über ein internes Online-Reservierungssystem, oder nur per Telefon, oder z. B. gar nicht. Manchmal stehen dem potenziellen Gast auch mehrere Wege zur Verfügung.

Hat man einmal herausgefunden, auf welchem Weg man reservieren kann, gilt es, herauszufinden, wann man reservieren kann – oder besser gesagt muss. So gut wie alle Restaurants in New York haben ein festes Zeitfenster, innerhalb dem Reservierungen für ein bestimmtes Datum möglich sind. Häufig beginnt dieses Fenster 30 Tage vor dem gewünschten Datum um 10 Uhr Ortszeit (und endet faktisch meist nur wenige Sekunden oder Minuten später). Manchmal sind es auch kompliziertere Angaben. Im Chef’s Table at Brooklyn Fare liest man zum Beispiel: „Jeden Montag um 10:30 Uhr öffnen wir eine neue Woche in unserem Reservierungsbuch. Sämtliche Reservierungen für die sechste Folgewoche können dann getätigt werden. Mögliche Reservierungszeiten sind dienstags und mittwochs um 19:00 Uhr und 19:45 Uhr, donnerstags bis samstags um 18:00 Uhr, 18:45 Uhr, 21:30 Uhr und 21:55 Uhr [sic!]. Es können nur Reservierungen für 2 oder 4 Personen getätigt werden.“ Und so weiter. Sie verstehen schon.

Hat man einmal herausgefunden, wann für jedes Restaurant zu reservieren ist, sucht man sich am besten einen ruhigen Ort und nimmt sich etwas Zeit. Manche Reservierungen sind sehr einfach und funktionieren über ein paar Mausklicks, doch ich rate immer dazu, die Uhrzeiten genau zu nehmen. 10:30 Uhr Ortszeit heißt 16:30 Uhr unserer Zeit. Und das heißt nicht etwa „ab halb fünf“, sondern Punkt 16:30 Uhr und null Sekunden mitteleuropäischer Normalzeit. Da jedes Smartphone und jeder Computer heutzutage standardmäßig ihre Uhren mit der Atomzeit synchronisieren, ist es nicht schwierig, diesen Moment abzupassen. Schwierig wird es nur, wenn man das alles nicht ernst nimmt. Eine Prise Laissez-faire hilft hier nicht weiter.

Reservierungen tätigen

Dann ist er da, dieser Moment, in dem die Uhr 16:29:59 Uhr auf meinem Handy anzeigt. Die Nummer, die ich (natürlich!) schon vorher einmal kurz angewählt habe, um jetzt nur noch die Wahlwiederholung benutzen zu können, wird gewählt, das Adrenalin zirkuliert, erhöht meinen Puls und öffnet die Schweißporen in meinen Händen. Ich habe sichergestellt, dass der Akku voll ist und der Empfang gut. Und dann: ein Besetztzeichen, wenn man Glück hat. Im Normalfall gibt es nur einen Verbindungsabbruch. Und dann heißt es: wieder und wieder wählen. Zehnmal, zwanzigmal, fünfzigmal, hundertmal. Ich habe über 200 Wählversuche gebraucht, um im Chef’s Table durchzukommen, fünfzig Minuten später, als ich dachte, dass schon alles Hopfen und Malz verloren seien. Dann kam ich durch, und ein freundlicher Herr fragt mich doch tatsächlich, was er für mich tun kann. Das grenzt doch an Sarkasmus! Was wohl? Einen Tisch reservieren! Ach so, gerne, sagt er und verbindet mich. Keine Warteschleife. Stattdessen nur Stille und irgendein Rauschen, das davon zeugt, dass man mit irgendeinem Land telefoniert, indem statt Abend Morgen oder statt Morgen Abend ist. Vor meinem geistigen Auge ist die Telefonverbindung zwischen meinem Handy und irgendeinem Festnetztelefon in Brooklyn in diesem Moment nur ein seidener Faden. Was jetzt alles schiefgehen könnte! Mein Akku – vor einer Stunde noch auf 100 %, jetzt schon, durch die ganzen Wählversuche in der Nähe von 35 % – könnte versiegen, genauso wie der Akku des Mobilteils des Drahtlostelefons in Brooklyn; meine Funkzelle könnte ausfallen; ein Hai könnte ein Transatlantikkabel durchbeißen; der Typ am anderen Ende könnte einfach aus Versehen auflegen … man weiß es nicht! Man kann die Luft schneiden. Nach fünf Minuten kostenpflichtiger Stille geht eine Frau dran. Sehr nett. „Guten Tag!“ sagt sie mit amerikanischem Akzent. Ich plaudere etwas mit ihr, ganz entspannt, als hätte ich mal eben durchgerufen. Schweißnass nenne ich ihr meinen Reservierungswunsch. Er geht in Ordnung. Ich nenne ihr meine Kreditkartennummer, Telefonnummer, buchstabiere meinen Namen und meine E-Mail-Adresse, höre mir die Formalitäten an: Dresscode, Preise, es ist mir alles egal. In diesem Moment zählt nur, dass die Reservierung steht.

Als das Restaurant neulich, ein paar Tage vor der Abreise, auf meinem Handy anrief, um die Reservierung rückzubestätigen, hatte ich den Anruf verpasst. Mein Herz ist mir fast in die Hose gerutscht, als ich eine verpasste New Yorker Nummer auf meinem Display hatte. Doch es ist alles gut. Ich rufe zurück (unter der Nummer ging auch sofort jemand dran) und bestätige. Am nächsten Tag folgte noch eine E-Mail mit der Bitte um weitere Bestätigung. Ich bestätigte noch mal.

Und das war erst die Geschichte vom Chef’s Table. Alles andere dann in den Einzelberichten. Ich muss jetzt los.

Cheers!