Hélène Darroze at The Connaught – zweiter Lunch, dritter Stern

Da sich meine kühnen Morgens-hin-abends-zurück-Exkursionen in europäische Metropolen gerade erst wieder in Paris bewährt haben, wiederhole ich selbiges noch mal mit London. Dort habe ich eine Reservierung im Hélène Darroze at The Connaught, um mir den dritten Stern aus der Nähe anzusehen, den das Restaurant genau ein Jahr nach meinem letzten Besuch vor knapp vier Jahren erhielt. Damit war ich also schon damals zu einer Zeit vor Ort, in der der Guide Michelin das Restaurant potenziell auf diesem Niveau sah.

Zusammen mit dem Hélène Darroze à Villa La Coste in der Provence (ein Michelin-Stern) und dem Marsan par Hélène Darroze in Paris (zwei Sterne) betreibt die 57-jährige Französin derzeit Restaurants auf allen Sprossen der Sterneleiter.

Das Interieur des Restaurants hat sich zu meinem letzten Besuch nicht verändert. Noch immer gibt eine gewöhnungsbedürftige Farbpalette in Melonenorange und Hellbraun den Ton an. Der große Saal mit hohen Decken und großen Fenstern lässt viel Licht herein und sorgt für eine angenehme Atmosphäre. Ich sitze sogar am selben Tisch wie damals.

Das junge, in komplementärem Blaugrün gekleidete Serviceteam ist von Beginn an charmant und humorvoll. Mit dem Sommelier tausche ich mich etwas länger über Wein aus und gelange schließlich hinsichtlich meiner Wahl bei einem 2019er Bourgogne von der Domaine Georges Roumier für 450 £ (ca. 540 €) an. Damit greife ich in ein etwas höheres Regal als ursprünglich angepeilt – die Weinkarte ist komplett online einsehbar –, aber man fliegt ja auch nicht jeden Tag ins The Connaught zum Lunch.

Kulinarisch stehen ein kürzeres Lunch-Menü für 125 £ (ca. 150 €) und ein saisonales Menü (»Taste of Autumn«) für 225 £ (ca. 270 €) zur Auswahl, auf das meine Wahl bereits länger im Voraus gefallen war. Ich entscheide mich zudem für einige Supplements, unter anderem für einen Gang mit Kalbsbries aus der aktuellen Weiße-Trüffel-Zusatzkarte. Menüs mit Extras zu kombinieren finde ich immer kurzweilig, weil es beide Welten – Menü und à la carte – spielerisch mit einander verbindet. (Im Taian Table in Shanghai, zum Beispiel, erhebt man diese Art der Essensauswahl gar zum Konzept.)

Die allererste Geste aus der Küche habe ich noch von letztem Mal in Erinnerung. Es ist eine handwarme Pilz-Consommé mit Fichtenöl, leicht fettig und ätherisch nach Waldboden duftend. Ich notiere, eine Nuance höher als letztes Mal, glatte 9/10 für das wundervolle Elixier, hoffe aber gleichermaßen, dass es bei dieser einen Wiederholung bleibt.

Ein Trio von Amuse-Bouches erreicht den Tisch wenig später. Ein fragiles Röllchen mit Topinambur, Sardellen und einem (wie so oft bei dieser Form der Zubereitung zu intensivem) Amalfi-Zitronen-Gel) präsentiert sich frisch und mediterran, wirkt aber eine Nuance trocken (7/10). Eine Tartelette mit Rehschinken, Pilzen und Wacholder besticht durch kühle, erdige Noten und eine sehr ausgewogene Frische (8/10). Und ein mit Forelle gefülltes, frittiertes Teigbällchen mit Dill und Vadouvan schmeckt wegen der Gewürzmischung warm-exotisch, erscheint jedoch auch wieder etwas massig (7/10). Für einen Drei-Sterne-Auftakt ist das erstaunlich schwach.

Das Menü eröffnet dann gleich mit einer Wahlmöglichkeit für den ersten Gang, wobei eine der Optionen mit einem Aufpreis von 85 £ (ca. 100 €) zu Buche schlägt. Dabei handelt es sich um ein Tatar vom schottischen Kaisergranat mit Blumenkohl, Seeigel und Kaviar – eine verführerisch maritime Kombination, der ich schon auf dem Papier nicht widerstehen könnte. Das Krustentier erscheint dann auf dem Teller als feines Tatar, eingebettet in einen aufgeschäumten Jus aus Seeigel und Hummer-Corail. Sanft gegarte Blumenkohlscheiben setzen wichtige Texturkontraste, während der Daurikus-Kaviar aus dem Qiandao-See in China das Gericht gemeinsam mit den jodigen Noten des Seeigels in dunkle Meerestiefen entführt. Vorhersehbar beeindruckend – und dennoch ein Erlebnis. (9/10)

Die weiße Bohne Coco de Paimpol aus der Bretagne lese ich vermutlich zum ersten Mal als Titel eines Gerichts. Die Hülsenfrucht zeigt sich hier in zweierlei Form: als naturbelassene Kerne und als »Panna Cotta« auf einem Sablé mit Timutpfeffer. Angerichtet in einer klaren Muschelconsommé und garniert mit Rettich-Röschen, wird das Ensemble von geräuchertem Aal begleitet – der zweiten markanten Komponente dieses ungewöhnlichen Tellers. Das Gericht begeistert geschmacklich durch ein harmonisches Zusammenspiel von erdiger Bohne, rauchigem Aal und süßlicher Zwiebel. Besonders reizvoll ist dabei der rustikale Grundcharakter der Kreation. Mein einziger persönlicher Kritikpunkt sind die etwas zu dekorativen Elemente wie die »Röschen« und die sehr homogene, Panna-Cotta-ähnliche Textur. (8,9/10)

Den Gedanken zu etwas weniger von mir favorisierten Zubereitungsarten trage ich mit ins nächste Gericht, wo ich etwas skeptisch auf zwei »glatte« Nocken Karottenpüree aus dem Thermomix blicke. Die babybreiähnlichen Cremes begleiten einen halben ausgelösten Hummer aus Schottland, der von einer hellbraunen, viskosen und (im besten Sinn) »klebrigen« Sauce umspielt wird, die an eine intensive Hühnerreduktion erinnert und durch ihr herausragendes Handwerk besticht. Auch der Hummer ist qualitativ und technisch makellos. Dennoch wirkt die gesamte Komposition – auf hohem handwerklichen Niveau – durch ihre fast monotone Homogenität wenig inspirierend, ohne kontrastierende Akzente oder spannende Brüche. (8,5/10)

Ein Raviolo mit Hase wird noch überraschend ins Menü eingeschoben. Die Textur der Teigtasche ist al dente und passt zur rustikalen, würzigen Farce mit geschmorten Hase und Kastanie. Eine aufgeschäumte Sauce mit Foie Gras rundet den herzhaften Zwischengang süß und süffig ab. Das ist ein ziemlich perfekter Happen. (9/10)

Der nächste Gang ist meine Wahl aus dem separaten Trüffelmenü. Ein Gericht mit Kalbsbries und frisch gehobeltem Alba-Trüffel (zzgl. 75 £, ca. 90 €) ersetzt den regulären Gang mit Petersfisch. Das zarte Bries ist makellos goldbraun gebraten und mit Amaranth und gepufftem Reis ummantelt, was die Knusprigkeit der Kruste verstärkt. Dazu wird eine schaumige Sauce auf Vin-Jaune-Basis angegossen, die durch eine feine Säure und eine abermals hohe aromatische Dichte besticht. Man schmeckt hier jedes Mal deutlich die gewissenhaft hergestellten Fonds. Auch die Temperaturen des Gerichts sind ideal, mit heißem Bries und etwas geringer temperierten Saucen. Erstaunlicherweise ist der Alba-Trüffel, trotz großzügiger Menge, kaum präsent – vielleicht ein saisonales Problem. Das ist erneut ein handwerklich einwandfreier Teller auf sehr hohem Niveau, aber wahre Emotion fehlt. (8,9/10)

Es folgt Perlhuhn eines Züchters von der französischen Atlantikküste. Ein Bruststück wurde hier saftig gegart und unter der knusprigen Haut mit Kräutern farciert. Das Stück Geflügel ist in einer glänzenden Sauce auf Basis von Entenfond angerichtet; der Duft der stark reduzierten Sauce schwebt über dem Teller. Etwas skeptisch schaue ich erneut auf zwei glattgemixte Nocken Topinambur-Pürees, die weitere Zubereitungen mit Topinambur und Walnuss begleiten. Kaffee-Öl wird auch genannt. Im Wesentlichen hat man hier ein auffällig saftiges, durch die mit Zitrone aromatisierte, angenehm frische Kräuterfarce lebhaftes Stück Geflügel mit einer fabelhaften Sauce. Die Topinambur-Zutaten empfinde ich nicht als erheblich bereichernd – ganz im Gegensatz zu einem Stück Boudin Blanc, das man separat dazu serviert. Die Geflügelweißwurst ist herzhaft abgeschmeckt und hat einen appetitlichen Biss. Das ist bisher der spannendste Happen des Essens. Davon abgesehen ist das ein technisch erneut makelloses, aber sehr »glattgebügeltes« Gericht. Interessant ist, wie viel saftiger und aromatischer diese gezüchtete Variante des Perlhuhns im Vergleich zu der kürzlichen Wild-Version im Le Gabriel ist. (8,5/10)

Das Restaurant ist an diesem Mittag gut besucht, aber nicht voll. Die Stimmung ist entspannt und das junge Service-Team trotz aller hier gelebten Förmlichkeit humorvoll und souverän.

Ein Pré-Dessert kommt wenig später in Form eines Apple Crumbles in einem eiskalten Becher. Die nach Karamell und Apfel schmeckende Masse enthält knusprige Elemente, die beim Zerkauen geräuschintensiv am Gaumen zerbrechen. Das ist geschmacklich einwandfrei, aber ich würde einen selbstgebackenen Apfelkuchen jederzeit vorziehen. (7/10)

Ein Dessert mit Sanddorn, Reispudding, Honig und Orange ist zwischen feiner Süße und appetitlicher Säure fein ausbalanciert; irgendeine Zutat »pritzelt« am Gaumen. Schnell verwandelt sich dieses Dessert in ein undefiniertes, massiges Allerlei, das mir keine Freude bereitet, es ganz aufzuessen. Obwohl Handwerk und Aromen sehr gut sind, ist die Gewichtung – vor dem Hintergrund eines Drei-Sterne-Menüs – stark optimierungsfähig. Immer noch »sehr gut« ist das dennoch. (7/10)

Das finale Dessert hat Schokolade aus Madagaskar zum Thema – als Eis, Segel und Sauce. Die herausragende Schokolade kündigt sich verblüffenderweise schon als Duft an, was bei kalten Speisen ungewöhnlich ist. In diesem Fall kann man die appetitliche Säure riechen, die die Schokolade qualitativ auszeichnet. Das Safraneis passt dazu hervorragend, indem es die Kreation mit einer luxuriösen orientalischen »Wärme« ausstattet. Die Repetition der scharfkantigen Segel stören mich etwas, und auch hier ist mir am Ende alles zu viel. In diesem Fall stechen die Qualität der Zutaten sowie die sehr gelungene Komposition jedoch meine Präferenz für etwas Mäßigung nach etwas über drei Stunden. (8,5/10)

Zwei ebenfalls recht massige Petit-Fours – ein Blätterteiggebäck mit Pistaziencreme (7/10) und eine Praline mit Schokolade und Haselnuss (8/10) – beenden schließlich das Menu.

Das Essen hatte ein hohes handwerkliches Niveau und setzte exzellente Zutaten ein, doch fehlte mir persönlich jedwede Art von Spannung oder gar Originalität, die ein Drei-Sterne-Mahl auszeichnen sollten. Eine solche Küche – klassisch französisch fundiert, aber zeitgemäß ausgeführt – kann man in zahlreichen geringer dekorierten Restaurants erleben. Weswegen der Guide Michelin hier eine Aufwertung für angemessen hielt, erschließt sich mir daher nicht. Einen kurzen Abstecher nach London war es mir trotzdem wert. Schade eigentlich, dass es die Concorde nicht mehr gibt. Man stelle sich nur die Möglichkeiten vor.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Hélène Darroze at The Connaught (→ Website)
Chef de Cuisine: Marco Zampese
Ort: London, England
Datum dieses Besuchs: 22.11.2024
Guide Michelin (GB & Irland 2024): ***
Meine Bewertung dieses Essens 8,5 (Was bedeutet das?)
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